Viele positive Eigenschaften der Geschlechtshormone, die früher mangels besseren Wissens den Östrogenen zugeschrieben wurden, sind in Wirklichkeit dem Progesteron zuzuordnen (z. B. stimmungsaufhellende Wirkung), weswegen hier auf ein paar sich hartnäckig haltende Fehlvorstellungen rund um das Östrogen eingegangen werden soll. Fußnoten mit Quellenangaben zu diesem Thema finden sich in meinem Buch “Wege aus der Hormonfalle” ab Seite 180.

Wie jedes Hormon übt natürlich auch das Östrogen eine wichtige Aufgabe im menschlichen Körper aus. Dennoch wird das Östrogen meiner Erfahrung nach in der Medizin völlig überbewertet, indem die Gefahren eines Übermaßes oft entweder unbekannt sind oder vernachlässigt werden.

Das verleitet dazu, Östrogen ausschließlich positiv zu betrachten, dabei ist jedes Stresshormon dazu da, dem Gestressten zunächst ein gutes Gefühl zu vermitteln – schließlich soll er in die Lage und Stimmung versetzt werden, den Stress zu überstehen.

Östrogen übt kurzfristig eine stimulierende, fast drogenartige Wirkung auf den Stoffwechsel und die Psyche des Menschen aus (daher wirkt es unter Umständen sogar aphrodisierend). In dieser Hinsicht betrachte ich das Östrogen also als Stresshormon.

Informationen über die Schädlichkeit von Östrogen im Übermaß verbreiten sich in der Medizinwelt nur langsam und unvollständig (siehe die angeführte Studie der Women’s Health Initiative, siehe unten). John Lee, Begründer der Ersatztherapie mit naturidentischem Progesteron, vermutete als Grund dafür eine indirekte Zensur, die auf wirtschaftliche Interessen gründet.

Mythos: Östrogene helfen gegen Osteoporose.

Fakt: Falsch. Zwar unterbindet Östrogen die Aktivität von Osteoklasten (Zellen, die für den Abbau der Knochensubstanz zuständig sind), gleichzeitig wird aber Kalzium eingelagert – allerdings im Weichteilgewebe, nicht in den Knochen. Typisches Symptom davon sind u. a. (Mikro-)entzündungen und alterndes Gewebe. Östrogene regen die Tätigkeit der Osteoblasten (Zellen, die für den Aufbau der Knochen verantwortlich sind) nicht an. Zielführend wäre bei Osteoporose meiner Erfahrung nach eher die Beachtung des Wechselspiels von Vitamin D, K2, Magnesium, Progesteron und Schilddrüsenhormonen.

Mythos: Östrogene machen Frauen weiblich.

Fakt: Falsch. Progesteron macht Frauen weiblich. Östrogene im Übermaß unterbrechen den weiblichen Zyklus und fördern die Ausschüttung von Androgenen bei Frauen (Damenbart). Sie unterbinden im Übermaß die weibliche Fruchtbarkeit eher, als dass sie sie fördern. Östrogene wirken bereits in geringem Übermaß abtreibend und psychisch »verhärtend«. Außerdem mindern Östrogene im Überfluss die Qualität von Orgasmen.

Im Übrigen kann ein Mann einen genauso hohen Östrogenspiegel haben wie eine Frau, wenn er hormonell nicht in Balance ist. Was genau soll an Östrogen also weiblich sein?

Mythos: Östrogene halten Frauen länger jung.

Fakt: Falsch. Östrogene führen zu Schwellungen des Gewebes. Hierdurch ist die Haut praller und wirkt faltenfreier. Die Schleimhäute werden durch Östrogen scheinbar lubrifiziert, das heißt, feucht gehalten. Strukturell aber führt Östrogen nur zum Aufquellen des Ge-webes, das dann schneller altert, weil Östrogen Kollagene angreift. Durch die koksartige Wirkung des Östrogens, fühlen sich Frauen – zumindest am Anfang einer Behandlung mit Östrogenen – energiegeladen. Ihr Sexualtrieb wird unter Umständen ebenfalls gesteigert, nicht unbedingt aber die Qualität der Sexualität. Damit wirkt Östrogen im Übermaß wie jedes andere Stimulanz, ohne zu wirklichen Veränderungen in Psyche oder Gewebe zu führen.

Mythos: Östrogene helfen bei einer erfolgreichen Kinderwunschbehandlung.

Fakt: Halb richtig. Östrogene sorgen indirekt für den Eisprung und fördern damit die Empfängnis. Auf den weiteren Verlauf der Schwangerschaft wirken sie jedoch im Übermaß toxisch, weswegen es nach Befruchtungen unter Östrogen häufig zu Fehlgeburten und Zwischenblutungen kommt. Die Beeinträchtigung der Gesundheit von Mutter und Kind vor, während und nach der Geburt sind damit fast unausweichlich. Beachtlich sind auch die anderen negativen Auswirkungen des Östrogens auf das Kind, das höchstwahrscheinlich zeitlebens von der Östrogeneinnahme der Mutter beeinflusst bleiben wird. Progesteron und Schilddrüsenhormone sind zur Steigerung der Fruchtbarkeit bestimmt sinnvolle Alternativen–was nicht heißt, dass diese zwingend substituiert werden sollten.

Mythos: Bioidentisches Östrogen und Phytoöstrogene sind nicht gefährlich.

Fakt: Falsch. Bioidentische Hormone mögen einen schwächeren Effekt haben als künstliche oder körpereigene Östrogene, trotzdem handelt es sich um Hormone, die östrogenisierend wirken. Die sogenannten Phytoöstrogene (aus Pflanzen gewonnenen Östrogene) besetzen die Östrogenrezeptoren, sodass eine Linderung von Östrogendominanz-Symptomen zunächst erreicht werden mag. Nur, weil sie gelindert wurde, bedeutet es nicht, dass der Körper nicht trotzdem weiter unter den Auswirkungen der Östrogendominanz leiden wird, die sich nämlich wahrscheinlich an anderer Stelle manifestieren wird. Die Behandlung mit bioidentischen oder pflanzlichen Östrogenen funktioniert meist nur eine Weile scheinbar gut. Solange nicht dafür gesorgt wird, dass sich die Östrogenlast insgesamt verringert, kann das System schnell kippen. Ein Besetzen der Rezeptoren mit schwachen Östrogenen ist ein typisches Beispiel für das – in der Medizin und oft auch in der Naturheilkunde – weitverbreitete symptomatische Denken und Handeln. Die Konsequenzen für den Gesamtorganismus werden oft nicht berücksichtigt.

Studie 2002 von der Women’s Healths Initiative:

Die Studie beobachtete 16 608 Frauen, die künstliche Östrogene zur Behand-lung von Wechseljahresbeschwerden einnahmen. Nach nur 5 ½ Jahren wurde sie abgebrochen, da im Vergleich zur Placebogruppe signifikant höhere Zahlen an Brustkrebs, Herzinfarkten, Schlaganfällen, Lungenembolien und Thrombosen auftraten. Die Ergebnisse wurden in zahl-reichen medizinischen Fachjournalen veröffentlicht, wodurch sich die Verschreibung von Östrogenen bei Wechseljahresbeschwerden reduzierte – zumindest vorübergehend. Die Verschreibungshäufigkeit der Antibaby-Pille, die ebenfalls Östrogene enthält, hat sich jedoch auch nach den Beobachtungen der Studie aus unerfindlichen Gründen nicht verringert. Zwar lässt sich argumentieren, dass jüngere Frauen vitaler und gesünder als ältere seien und somit die Folgen der Östrogenbelastung besser vertragen würden, aber die vielzähligen Menstruations- und Fertilitätsstörungen sowie Krebserkrankungen junger Patientinnen lassen das Gegenteil vermuten, wenn man, wie ich, davon ausgeht, dass eine Östrogendominanz sich negativ auf die eben genannten Störungen auswirken kann.

Inzwischen beklagen die Autoren der Studie übrigens eine Fehlinterpretation ihrer Forschungs-ergebnisse und plädieren nunmehr für die Vorteile der Hormonersatztherapie mit Östrogenen, was nach meiner Auffassung wenig verständlich ist. Auch in Deutschland heißt es wieder, es gäbe keine effektivere Therapie für klimakterische Beschwerden . Es scheint, als müssten die Patientinnen sich zwischen Regen und Traufe entscheiden: Entweder sie leben mit klimakterischen Beschwerden oder sie nehmen Östrogene und setzen sich deren Risiken aus. Sollte es nicht andere Möglichkeiten geben?

Mehr zur schädlichen Wirkung von Östrogenen hier. Mehr zur Wirkung von Progesteron als Gegenspieler zum Östrogen hier.

Bild: James Heilman, Wikipedia