Epigenetik und Arzneikrankheit

Epigenetische Störungen und auch sogenannte Arzneikrankheiten können sich auf alle Zellen des Körpers auswirken und nicht nur auf einzelne Regelsysteme, weswegen beide einen erheblichen Einfluss auf die Physiologie des Körpers haben. 

Epigenetik

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird vielfach von “genetisch” gesprochen, während eigentlich die Epigenetik gemeint ist. Denn nur zwei Prozent aller als genetisch bezeichneten Erkrankungen werden durch einen wirklich fehlerhaften einzelnen Gen hervorgebracht.1Lipton, Bruce H., The Biology of Belief 10th Anniversary Edition (S.27)

Epigenetische Störungen betreffen zwar nicht die Gene an sich, jedoch die Art wie diese ausgelesen werden. Ausgelöst werden epigenetische Störungen durch Umweltereignisse von außerhalb des Gens 2Lipton, Intelligente Zellen, 2006 die auch an die nächste Generation weiter gegeben werden können. 

Epigenetische Vorgänge finden durch das An- und Abschalten verschiedener Gene statt, was Genregulation genannt wird. Die meisten Gene, die über Gesundheit und Krankheit entscheiden unterliegen einer fortwährenden Regulation.3Bauer, Das Gedächtnis des Körpers, 2016, S. 222 Dies macht epigenetische Störungen reversibel. Doch nicht revidierte epigenetische Veränderungen können sich auch dauerhaft etablieren und im Leben nachfolgender Generationen auswirken. 

Folgen epigenetischer Veränderungen

Epigenetische Veränderungen können zum Wohle des Organismus wie auch zu dessen Nachteil geschehen. Sie sind letztendlich das Ergebnis unserer Interaktion mit der Umwelt und unserer Anpassung an die Umwelt. Dazu zählen auch Nährstoffmängel und psychische Einwirkungen.  

Epigenetisch veranlagte Nährstoffmängel können laut meiner Erfahrung dazu führen, dass ein Individuum einen höheren Bedarf an bestimmten Nährstoffen hat, die letztendlich unmöglich über die Ernährung alleine gedeckt werden können, was dann wiederum zu Energiemangel auf Zellebene führt. Dies führt unter Umständen dann zu Hormonstörungen und einer Verschiebung der Verhältnisse in den Neurotransmittern wie auch zu Entgiftungsproblemen 4siehe auch: Walsh, Psychische Erkrankungen anders behandeln, 2016.

Auch Traumata können dem Bereich der epigenetischen Veränderungen zugeordnet werden, 5Bauer, Das Gedächtnis des Körpers, 2016, S. 168 wenn auch in Form einer Überbelastung des Nervensystems. Besonders Bindungsstörungen, die aus meiner Sicht im Prinzip in verschiedenen Abstufungen allgegenwärtig sind, prägen das gesamte System entscheidend mit. Frühkindliche oder gar intra-uterine Bedrohungen des Organismus setzen mittels traumatischer Mechanismen hier Weichen für das Verweilen in einem ständigen Alarmstadium, auch wenn im „Außen“ keine aktuelle Bedrohung erkennbar ist.

Jedenfalls kann man davon ausgehen, dass “Faktoren, die Gene steuern und Gesundheit beeinflussen können, zu einem wesentlichen Teil aus dem Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen kommen”.6Bauer, Das Gedächtnis des Körpers, 2016, S. 11

Natürlich können auch Toxine und selbst Medikamente epigenetische Veränderungen herbeiführen. Im ersten Fall ist dies ein meist unerwünschter Nebeneffekt, im letzteren Fall jedoch gewollt. Jedes Mal, wenn ein Medikament eine Wirkung entfaltet, findet potentiell auch eine direkte oder indirekte epigenetische Veränderung statt.7Csoka, Epigenetic side-effects of common pharmaceuticals, 2009

Arzneikrankheit  

Während die Wissenschaft erst seit kurzer Zeit anerkennt, dass Medikamente auch nachhaltige Wirkungen aufweisen können,8Csoka, Epigenetic side-effects of common pharmaceuticals, 2009 nannten die alten Homöopathen diesen Zustand „Arzneikrankheit“. Gemeint ist damit die dauerhafte Einwirkung von Substanzen auf die Funktion des Körpers, auch lange, nachdem die Einnahme beendet wurde. Ein häufiges Beispiel in der Praxis sind Störungen der Hormone nach dem Absetzen der Pille oder dauerhafte Anorgasmie nach Absetzen von Antidepressiva. Es ist wahrscheinlich, dass auch hier, neben anderen pharmakologischen Wirkungen, dauerhafte epigenetische Veränderungen eintreten.

Damit bekommen Nebenwirkungen von Medikamenten eine ganz neue Dimension. Es ist inzwischen bekannt, dass zumindest manche Medikamente dazu in der Lage sind die Funktion einer Zelle dauerhaft “umzuprogrammieren”. Das heißt mit anderen Worten, dass die Zelle nicht mehr dazu in der Lage ist ihre ursprüngliche biologische Funktion auszuführen.9Kanherkar et al., The Effect of Citalopram on Gerome-Wide DNA Methylation of Human Cells, 2018 Zwar könnte man argumentieren, dass einige dauerhafte Veränderungen durchaus wünschenswert sein mögen. Doch dauerhafte Nebenwirkungen von Medikamenten dürften wohl kaum dazu gehören. “Diese Nebenwirkungen sind eine Konsequenz konzeptionellen Reduktionismus bei der Zusammenstellung und Erforschung von Medikamenten, hauptsächlich durch einen Mangel an Kenntnis über die pathophysiologischen Pfade und Netzwerke der Genregulation auf die sie einen Einfluss ausüben”.10Csoka, Epigenetic side-effects of common pharmaceuticals, 2009 

In der Praxis zeigt sich also die Arzneikrankheit nicht selten als Behandlungsblockade. Umprogrammierte Zellen könnten eine Erklärung dafür sein, dass Frauen, die einstmals die Pille genommen haben, auch nach Absetzen der Pille weiterhin Probleme mit der selbständigen Regulation ihrer Hormone haben. Dieses “post-pill-syndrome” übersteigt in Fällen, wo die Pille nicht zur Verhütung genommen wurde, sondern zur Regulierung des Zyklus, oft in seiner Heftigkeit die ursprüngliche Symptomatik um ein Vielfaches.

Deregulation durch Manipulation

Es scheint so zu sein, dass der Körper durch die massive und schließlich auch unphysiologische Manipulation von außen verlernen würde eigenständig optimal zu funktionieren. Bewiesen ist ein solches Phänomen bei Sucht-erzeugenden Drogen wie Ecstasy, Kokain und Kannabis11Bauer, Das Gedächtnis des Körpers, 2016, S. 128. Durch diese werden Dopamin- und GABA Rezeptoren so verändert, dass man ohne (immer mehr) Drogen unter Umständen keine positiven Gefühle mehr haben kann. 

Damit ist die Arzneikrankheit in der Praxis ein großes Problem, was fast jeder in der einen oder anderen Form hat. Schließlich hat jeder im Leben schon einmal Antibiotika, Hormone, Schmerzmittel oder Antidepressiva genommen.

Durch Arzneikrankheiten werden nicht nur Symptome produziert wo vorher keine waren. Die nun produzierten Symptome verstellen oft außerdem noch den Blick auf die ursprüngliche Symptomsprache des Körpers, was das Auffinden von Ursachen erheblich erschweren kann.

Doch selbst dann, wenn die ursprüngliche Symptomatik weiter sichtbar bleibt, blockiert leider häufig die Arzneikrankheit die Behandlung des ursprünglichen Problems, indem sie sich wie eine Schicht auf die natürliche Regulation des Körpers setzt. 

Insofern sind epigenetische Störungen und auch die Arzneikrankheit wichtige Faktoren bei der Eigenregulation körperlicher Regelsysteme, indem sie den genetischen Ausdruck der Gene dieser Systeme an- oder abstellen können. Wie sich das unter Umständen äußern kann, lesen Sie auf der folgenden Seite für das Neven-, Hormon- und Immunsystem, welche in der Befehlshierarchie des Körper oben angesiedelt sind. 

Bildquelle: IStock, Lizenz 02.12.18