Östrogenmangel unwahrscheinlich
Ein echter Östrogenmangel ist meiner Erfahrung nach äußerst selten! Was viele nicht Wissen: Östrogene können fast in jeder Zelle unseres Körpers hergestellt werden. Denn durch ein Enzym namens Aromatase kann der Körper grundsätzlich aus Testosteron Östrogen herstellen. Damit ist es selbst für eine Frau ohne Eierstöcke schwer in einen Östrogenmangel zu kommen. Denn die Menge an Östrogenen, die im Gewebe produziert werden kann, wird bei Bedarf der Menge an Östrogenen angeglichen, welche die Eierstöcke produziert hätten.
Davon einmal abgesehen, wird Östrogen nur in winzigen Mengen vom Körper benötigt-auch das macht einen Östrogenmangel im Gegensatz zum Progesteronmangel unwahrscheinlicher. Dabei ist unsere Umwelt voll von Xenoöstrogenen, die sogar durch das Grundwasser ständig an uns heran getragen werden. Somit wird jeder Mensch sowieso ganz unfreiwillig mit Östrogenen versorgt.
Der Körper kann außerdem auch aus Pregnenolon oder Progesteron bei Bedarf Östrogene herstellen, sodass bei einem generellen Mangel an Geschlechtshormonen auf diese Stoffe in der Hormonersatztherapie zurück gegriffen werden kann.
Ein Verteilungsproblem
Natürlich ist Östrogen im Körper nicht nutzlos, auch wenn es nur in geringen Mengen gebraucht wird. Was als Östrogenmangel getestet wird, kann auch ein Verteilungsproblem sein. Denn Östrogen kann sich in Geweben festsetzen und ist dann weder im Blut messbar, noch kommt es dorthin, wo es gebraucht wird (z.B. Vaginalschleimhaut). Diese Bindung im Gewebe geschieht vor allem bei entzündlichen Prozessen, auch solchen, die im Körper subtil ablaufen (silent inflammation). Dr. Ray Peat sagt zur Gewebebindung des Östrogens:
„Es gibt zwei Enzyme, die Östrogen produzieren: Aromatase verwandelt Androgene in Östrogen und Beta-Glucoronidaseverwandelt inaktive Östrogenglucoronide in aktives Östrogen. Die gesunde Leber inaktiviert für sie erreichbare Östrogene, indem sie sie mit Glucoronsäure (einer Art Zuckersäure) verbindet. Dieser Vorgang führt zur Wasserlöslichkeit des Östrogens, sodass es mit dem Urin ausgeschieden wird. Wenn der Östrogen-Glucoronsäure-Komplex allerdings durch entzündetes Gewebe kommt, wird die Glukoronsäure durch Beta-Glukoronidase entfernt, sodass pures Östrogen sich im Gewebe ansammeln kann.“ (Dr. Peat Ray, Tissue-bound estrogen in aging, 2006)
Doch warum werden Östrogene immer noch so häufig eingesetzt?
- Östrogene haben, wie auch andere Stresshormone, eine anfänglich aufputschende, euphorisierende, befeuchtende und tonisierende Wirkung, die jedoch schnell vorübergeht. In der Natur ist diese Wirkung für die Zeit des Eisprungs gedacht, welche die Frau für den Mann zwecks Fortpflanzung attraktiver machen soll. Der normalerweise schnell nach dem Eisprung einsetzende Progesteroneinschuss relativiert diese Wirkung dann wieder, sodass aus der kurzzeitigen Östrogenerhöhung keine Gefahr für die Gesundheit ausgeht. Die euphorisierende Wirkung setzt auch nur dann ein, wenn auch die Schilddrüsenhormone, Progesteron und Testosteron im richtigen Verhältnis sind. Längerfristig wirken Östrogene im Übermaß wie ein Stresshormon, die durch Schwellung und Zellteilung agieren, was grundsätzlich ein Mechanismus ist, der dem Krebs zugeschrieben wird. Strukturell führt Östrogen auch keinesfalls zu einer in der Tiefe „prallen“ Haut – Haut wie Schleimhäute sind lediglich aufgequollen. Denn Östrogen zerstört im Gegensatz zum DHEA, Pregnenolon und Progesteron Kollagenbindungen. Dass Östrogen vor Osteoporose schützt, ist ein hartnäckiger Mythos. Zwar verhindert Östrogen die Aktivität der knochenabbauenden Zellen (Osteoklasten), eine positive Wirkung auf die Knochen aufbauenden Zellen (Osteoblasten) hat Östrogen jedoch nicht. Hierfür sind Schilddrüsenhormone und Progesteron zuständig.
- Die Symptome, die dem „Östrogenmangel“ zugeschrieben werden, können meist anders als durch Östrogengaben gelöst werden. Hitzewallungen in etwa sind im Eigentlichen oft ein Problem der Unterzuckerung, was der Körper durch Adrenalineinschüsse versucht schnell zu beheben. Die Trockenheit der Haut ist häufig auf ein Kalzium Überschuss im Gewebe oder eine Minderversorgung mit Eiweiß zurück zu führen. Stress im Allgemeinen sorgt dafür, dass die Oberfläche des Körpers nicht mehr richtig mit Blut und damit auch mit Nährstoffen versorgt wird. Schließlich zentralisiert sich das Blut bei Stress, um lebenswichtigeren inneren Organen für eine mögliche Flucht zur Verfügung zu stehen.
- Im Gewebe fest sitzendes Östrogen wird nicht gemessen, daraufhin wird substituiert. Doch die Verfügbarkeit von Östrogen verbessert sich dadurch nicht.
In meiner Praxis empfehle ich die Einnahme von Östrogenen grundsätzlich nicht (unabhängig davon, ob es sich um künstliche, natürliche, naturidentische oder Phytoöstrogene handelt). Ich nehme auch Patienten, welche Östrogene weiter einnehmen wollen, nicht an. Gründe für diese Ablehnung von Östrogenen ist die erhebliche Gefahr die von einem Östrogenüberschuss ausgehen kann (mehr dazu hier und hier). Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine hormonelle Balance sehr gut (und noch besser) möglich ist, wenn möglichst auf die Zuführung von Östrogenen verzichtet wird. Meiner Ansicht nach ist der Körper selber dazu in der Lage dieses Hormon herzustellen, genauso wie alle anderen Hormone, soweit die Hormon produzierenden Organe noch da sind. Da Östrogen in sehr vielen Geweben produziert werden kann, wird die Substitution umso seltener gebraucht.
Bild: Manuel Campagnoli, Wikipedia